Direkt herunterladen: Rohrer – Heilungsgewissheit

Dr. Anton Rohrer:

Apriorische Heilungsgewissheit – eine praktische Annäherung 1

Die Behauptung der Heilungsgewissheit stammt von Hahnemann und beherrschte sein ganzes ärztliches Forschen. Er fasst sie im § 3 Organon zusammen:

Sieht der Arzt deutlich ein, was an Krankheiten das ist, was an jedem einzelnen Krankheitsfalle insbesondere zu heilen ist (Krankheits-Erkenntnis, Indikation), sieht er deutlich ein, was an den Arzneien, das ist, an jeder Arznei insbesondere, das Heilende ist (Kenntnis der Arzneikräfte), und weiß er nach deutlichen Gründen das Heilende der Arzneien dem, was er an dem Kranken unbezweifelt Krankhaftes erkannt hat, so anzupassen, dass Genesung erfolgen muss….. so versteht er zweckmäßig und gründlich zu handeln und ist ein echter Heilkünstler.

Während Ekkehard Fräntzki und Will Klunker diesen Aspekt der Heilungsgewissheit theoretisch und philosophisch bearbeiteten 2, soll hier die praktische Seite, wie sie von Hahnemann konzipiert wurde, betrachtet werden. Das Zitat aus § 3 Organon „so anzupassen, dass Genesung erfolgen muss“, nannte Will Klunker einmal den bedeutendsten Nebensatz der abendländischen Medizingeschichte.

Hahnemann beschreibt in einem Brief an Hufeland 1808 (Auszug eines Briefes an einen Arzt von hohem Range, über die höchst nötige Wiedergeburt der Heilkunde) seine eigene Not, die ihm zur Motivation wurde, eine neue Medizin zu schaffen. Dieser Brief gibt vielleicht von allen Schriften Hahnemanns am deutlichsten über das Grundwesen der Homöopathie Auskunft:

Aber ich bekam Kinder, mehrere Kinder, und da fielen dann nach und nach schwere Krankheiten vor, die, weil sie meine Kinder – mein Fleisch und Blut quälten und in Gefahr setzten -, mir es hinwiederum zu einem noch empfindlicheren Gewissensskrupel machten, dass ich ihnen nicht mit einiger Zuverlässigkeit sollte Hilfe schaffen können. Aber! ….. Wo nun Hilfe, sichere Hilfe hernehmen? seufzete der trostlose Vater bei dem Gewimmer seiner teuern, über alles teuern, teuern kranken Kinder. Nacht und Öde um mich her, – keine Aussicht zur Lüftung meines beklemmten Vaterherzens! ….. Er, der Allvater, sollte die Krankheitsmartern seiner liebsten Geschöpfe mit Kälte ansehen und dem doch sonst alles möglich machenden Genie des Menschen keinen Weg, keinen leichten, sichern und zuverlässigen Weg möglich gemacht haben, wie sie die Krankheiten aus dem rechten Gesichtspunkte anzusehen hätten, und wie sie die Arzneien befragen könnten, wozu jede nützte, wofür sie wirklich und sicher und zuverlässig hilfreich sei? …. Und eben so gewiss muss es.. einen Weg geben, auf dem sich Krankheiten in richtigem Gesichtspunkte ansehen und mit Gewissheit heilen lassen, einen nicht in endlosen Abstraktionen und phantastischen Grübeleien versteckten Weg!“ 3

Hahnemann schildert hier seine eigene Depression („Nacht und Öde um mich her“), seinen Kummer über die Unzuverlässigkeit der herkömmlichen Medizin, die ihm, im Angesicht der Krankheiten seiner Kinder, sehr schmerzlich bewusst wird. Die Depression, der Kummer, den eigenen Kindern nicht helfen zu können, wird zur Motivation, eine Medizin zu schaffen, die sichere Hilfe möglich macht, wo Heilung mit voraussehbarer Gewissheit möglich ist.

Diese Heilungsgewissheit ist das Fundament der hahnemannschen Medizin, das Ähnlichkeitsgesetz dient dazu, diese Heilungsgewissheit in die Praxis umzusetzen. Wenn wir jetzt der Homöopathie ihr Fundament, d.h., diesen Aspekt der Heilungsgewissheit entziehen, und das Ähnlichkeitsgesetz selbst zum alleinigen Fundament der Homöopathie machen, dann berauben wir der Homöopathie ihres zentralen Gedankens 4 und dadurch erleben wir die heutige Situation in der Homöopathie: Die Ähnlichkeit wird zum Spielball der freien Assoziation des Therapeuten, es wird heute alles allem ähnlich und je kreativer der Einfallsreichtum der Interpretation der Ähnlichkeit umso mehr Beifall wird solchen Ideen gezollt. Hahnemann dagegen hat das Ähnlichkeitsgesetz immer unter dem Aspekt der Heilungsgewissheit gesehen.

Klunker (Heilkunde unter dem Anspruch von Gewissheit , KH40:5/96):
Aus dieser metaphysischen Grundstellung der durchgängigen Rationalität der Gesamtwirklichkeit ergibt sich für Hahnemann die Gewissheit, dass eine gewisse Heilkunst möglich ist. So, wie die bisherige Ungewissheit der Heilkunde aus der Ungewissheit der Krankheitserkenntnis und der Arzneierkenntnis hervorgeht, setzt eine wissenschaftliche Heilkunde Gewissheit über Krankheit und Arzneien voraus. Das führt zu zwei Fragen: Wie sind die Arzneien hinsichtlich ihrer wahren und gewissen Indikation zu befragen und wie sind die Krankheiten in richtigem Gesichtspunkte anzusehen, dass sie das wahre Indikat für eine Arzneiindikation abgeben, so dass sie mit Gewissheit heilen können?“

Das sind die zwei Fragen, die uns in der Praxis beschäftigen.

Hahnemann beginnt folgerichtig mit der Gewissheit schaffenden Befragung der Arzneien, das ist die Arzneimittelprüfung am Gesunden. Jetzt, wenn der rechte Weg zur Befragung der Arzneien gefunden ist, ist gleichzeitig auch der Weg entdeckt, wie man die Krankheiten „im richtigen Gesichtspunkte“ ansehen kann: Nämlich auf der Ebene der unmittelbar wahrnehmbaren Symptome, nicht verzerrt durch pathophysiologische Ursachentheorien, spekulative Deutungen oder klinische Diagnosenamen. Das ist das Unbezweifelbare, auf das Hahnemann im §3 Bezug nimmt, das strikte Bleiben auf der Ebene der Phänomene. In den unmittelbar wahrnehmbaren Zeichen und Symptomen zeigt sich die Identität von Arzneikrankheit und natürlicher Krankheit, wie gesagt, nicht verzerrt durch irgendwelche Ursachentheorien oder spekulative Deutungen. Wenn ich jetzt diese unmittelbaren Befindensveränderungen, die sich in der Arzneimittelprüfung zeigen, korrekt aufgezeichnet habe, weiß ich damit für alle Zukunft sicher und gewiss, was ich damit auch heilen kann. Das ist mit der apriorischen Heilungsgewissheit gemeint, die sich aus den Arzneimittelprüfungen erschließt, und nichts anderes. Eine korrekt durchgeführte Arzneimittelprüfung sagt mir zeitlos, für alle Zukunft, welche Krankheitssymptome ich damit heilen kann. Das muss schon vorher – eben a priori – feststehen, bevor ich zu behandeln beginnen kann.

Hahnemann, RAML 3, Einleitung zu China: Homöopathie lehret, wie man bloß nach deutlichen Antworten der befragten Natur mit voraus zu bestimmender Gewissheit, Krankheiten schnell, sanft und dauerhaft in Gesundheit umwandeln könne.

Hahnemann, Vorrede RAML Band 1, Seite 4: Bloß diese ihre reine Wirkung lässt sich genau erforschen, folglich voraus bestimmen, ob diese im gegebenen Falle helfen könne, oder jene andere.

S.25: Anders, als nach diesen … Gesetzen scheint die Natur der lebenden Organismen bei dauerhafter Heilung der Krankheiten durch Arzneien nicht zu wirken, und so wirkt sie in der Tat, so zu sagen, nach mathematischer Gewissheit.

RAML, Band 2, Vorwort zu Ferrum S. 122: Gott bewahre jeden Kranken vor einem Arzte, der nicht weiß, warum er dies oder jenes Arzneimittel verordnet, der nicht überzeugende Gründe dazu hat, der nicht im voraus weiß, welche Arznei dem Kranken heilsam oder verderblich sein werde.

RAML, Band 3, Vorwort Chamomilla S. 67: Aus den Symptomen und Beschwerden, die die Chamille für sich in gesunden Menschen erregt …. ersiehet man, welche natürlichen Krankheitszustände sie schnell, mit Gewissheit und dauerhaft heilen kann, heilen wird, heilen muss.

RAML, Band 4, Eine Erinnerung, S.16: Vorausgesetzt nun, was gleichfalls Niemand leugnen kann, dass beim Heilen das Hauptgeschäft des Arztes im Vorauskennen derjenigen Arznei besteht, welche mit möglichster Gewissheit die Heilung erwarten lässt… so muss er.. . hauptsächlich vorauswissen, was die einzelnen Arzneien im Befinden des Menschen ändern können. Das eifrigste Streben … eines Arztes muss daher vor allen Dingen auf die Vorkenntnis derjenigen Eigenschaften und Wirkungen der Arzneien gerichtet sein, mittels deren er die Heilung oder Besserung der einzelnen Krankheitsfälle mit möglichster Gewissheit vollführen könne….

RAML, Band 4, Vorwort zu Chelidonium S.261: Die Alten wähnten, die Gelbheit des Saftes dieser Pflanze sei ein Zeichen (Signatur) ihrer Dienlichkeit in Gallenkrankheiten. Die Neuern dehnten daher ihren Gebrauch auf Leberkrankheiten aus, und ob es gleich Fälle gab, wo der Nutzen dieses Gewächses bei Beschwerden in dieser Gegend des Unterleibes sichtbar ward, so sind doch die Krankheiten dieses Teils .. unter sich so verschieden, die Fälle auch, wo es geholfen haben soll, von den Ärzten so wenig genau beschrieben worden, dass sich Krankheitsfälle, worin diese Arznei fortan mit Gewissheit dienlich sein müsste, unmöglich aus ihren Angaben im voraus bestimmen lassen – wie doch so unumgänglich bei Behandlung der so wichtigen Menschenkrankheiten geschehen sollte. …. Die Wichtigkeit der menschlichen Gesundheit verstattet keine so ungewisse Bestimmung der Arzneien. Nur der leichtsinnige Frevler kann sich mit solcher Vermutlichkeit am Krankenbette begnügen. Es kann also nur das, was die Arzneien … unzweideutig bei ihrer Einwirkung auf gesunde Körper selbst offenbaren, das ist, nur ihre reinen Symptome können uns laut und deutlich lehren, wo sie mit Gewissheit heilbringend sein müssen, wenn sie in sehr ähnlichen Krankheitszuständen eingegeben werden, als sie selbst eigentümlich im gesunden Körper erzeugen können.

RAML, Band 4, Vorwort zu Silber S. 339: … dass die Arzneien, welche gewiss heilen sollen, in der Erstwirkung das Ähnliche vom gegenwärtigen Krankheitszustande zu erregen im Stande sein müssen…

Zusammenfassend kann gesagt werden: (Geist der homöopathischen Heillehre S. 2): Erkennbar, deutlich erkennbar muss das unseren Sinnen offen da liegen, was an jeder Krankheit hinwegzunehmen sei, um sie in Gesundheit zu verwandeln, und deutlich wahrnehmbar muss jede Arznei aussprechen, was sie zuverlässig heilen könne, ehe sie gegen Krankheit angewendet werde, wenn die Arzneikunst aufhören soll, ein leichtfertiges Würfelspiel um Menschenleben zu sein, und anfangen soll, die gewisse Retterin aus Krankheiten zu werden.

Dann ist noch ein Missverständnis über den Begriff der Heilungsgewissheit zu klären. Es muss korrekt „Wirkungsgewissheit“ heißen. Auch der schulmedizinische Arzt hat die Gewissheit, dass sein Schmerzmittel „wirkt“, und das tut es ja auch. Auch das Antibiotikum wird heilen, und wenn nicht, dann war es das falsche Mittel und das richtige Mittel muss gefunden werden, durch Erreger- und Resistenzbestimmung. Das gibt es auch in der Homöopathie, dass das falsche Mittel gegeben wurde und das richtige, nach den hier noch zu nennenden Kriterien, bestimmt werden muss.

Es ist selbstverständlich klar, dass die hahnemannsche Medizin auf dem Boden von Wirkungsgewissheit (wie man bloß nach deutlichen Antworten der befragten Natur mit voraus zu bestimmender Gewissheit, Krankheiten schnell, sanft und dauerhaft in Gesundheit umwandeln könne), völlig dem Konzept von Susanne Diez widerspricht. Sie erklärt die Subjektivität zu einem neuen „Grundprinzip der Homöopathie“ 5. Sie hat aber völlig recht, wenn sie schreibt, „jeder Versuch, die Homöopathie als Wissenschaft zu formulieren, wird daher um die schwierige Frage der Verallgemeinerungsmöglichkeiten („Objektivierung“) subjektiver Erfahrungen und Erlebnisse nicht herumkommen“. Dieses schwierige Problem der notwendigen Objektivierung hat Hahnemann selbst aber schon längst gelöst! Damit ist aber Subjektivität selbstverständlich kein „Grundprinzip“ in der Homöopathie, denn das fehlte gerade noch! Die Lösung des Problems der Objektivierung, die Hahnemann gefunden hat, passt vielen Homöopathen aber ganz und gar nicht, sie werden von dieser Lösung ja vielmehr „verfolgt“ 6.

Selbstverständlich ist jedes einzelne Prüfungs- und Patientensymptom subjektiv. Aber dieses Problem hat Hahnemann vor über 200 Jahren nach wissenschaftlichen Prinzipien gelöst und seine Lösung ist bestimmt nicht der „heilige Gral“ der Homöopathie, den Herr Laurentius in der Heilungsgewissheit vermutet. Die Lösung des Problems ist nicht verborgen, geheim, wie der heilige Gral, sondern liegt offen da, in der Arzneimittellehre. Die Problemlösung sind die SIGNIFIKANZEN, ein Begriff, der in diesem Zusammenhang von Uwe Plate eingeführt wurde. Diese in der Arzneiprüfung signifikant häufig vorkommenden Zeichen nannte Hahnemann Charakteristika und die Verschreibung nach diesen ist die Voraussetzung für Heilungsgewissheit (Wirkungsgewissheit). Signifikant meint deutlich und in der Statistik bedeutet es, dass bei einer Signifikanz die Wahrscheinlichkeit für einen Zufall gering ist. Das heißt, je signifikanter ein Zeichen in der Arzneiprüfung vorkommt um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Zufall handelt und um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es eine wirkliche Arzneiwirkung ist und damit die Wirkungsgewissheit gegeben ist.

In eine Arzneimittelprüfung kann sich Zufälliges, Irrtümliches einmischen, was mit der Arznei überhaupt nichts zu tun hat, dessen war sich Hahnemann vollkommen bewusst. Ich brauche Kriterien, um die sichere Arzneiwirkung erkennen zu können. Die sichere Arzneiwirkung ist das Charakteristische, wie Hahnemann es bezeichnet, das sich zeigt, wenn es in der Prüfung häufig vorkommt oder wenn dieses Zeichen in den allerverschiedensten Zusammenhängen (um einen Begriff von GHG Jahr zu gebrauchen) auftritt, was sich durch die Arznei durchzieht so wie der rote Faden in den Tauen der englischen Marine, wie Bönninghausen sich ausdrückt. Heute können wir alle diese Beschreibungen zusammenfassen im Begriff der Signifikanz. Das einzelne –isolierte – Prüfungssymptom allein gibt keine Sicherheit. Weil sich das Zwingende der Arzneiwirkung in der Prüfung durchsetzt, deshalb tritt das Zeichen häufig auf, was wir signifikant nennen können. Das Zwingende setzt sich durch, das Zufällige, das Einzelsymptom ist immer unsicher, da haben wir keine Wirkungsgewissheit. Das heißt, die Voraussetzung von der Arzneiseite her („deutliche Kenntnis der Arzneikräfte – §3) ist eine Datenlage, die signifikant ist. Eine deutliche, ausreichende Datenlage bietet Wirkungsgewissheit (deutlich wahrnehmbar muss jede Arznei aussprechen, was sie zuverlässig heilen könne – Geist der homöopathischen Heillehre, S.2). Bryonia hat in der AMP mehrfach Stechen bei Bewegung hervorgebracht, das ist signifikant häufig in der Prüfung aufgetreten, deswegen ist diese Zeichenkombination (ZK) für Bryonia charakteristisch. Das heißt, das homöopathische Mittel wirkt nur dann mit Sicherheit, wenn wir genügend Informationen durch die Arzneiprüfung haben, wenn das Datenmaterial der Prüfungssymptome für eine Wirkungsgewissheit ausreichend ist.

Das bedeutet, das Symptom muss beim Patienten in der Anamnese deutlich zutage treten und bei der Arznei muss es signifikant vorkommen.

Die Entsubjektivierung der Prüfungssymptome und damit die von S. Diez geforderte Objektivierung, ergibt sich durch die Signifikanzen, aber dass diese signifikante Zeichenkombination heilen muss (die Wirkung sicher eintritt) bezieht sich nicht auf einzelne Zeichenkombinationen (Stechen bei Bewegung) sondern auf das Prinzip Homöopathie schlechthin: Wenn Bryonia Stechen bei Bewegung geheilt hat, und zwar deswegen geheilt hat, weil es dafür signifikant ist, dann muss Bryonia auch Stechen bei Berührung heilen, weil es auch dafür signifikant ist. Diese Heilungen bestätigen jetzt nicht diese einzelnen Zeichenkombinationen (quasi dass damit nur bestätigt wird, dass Bryonia Stechen bei Bewegung oder bei Berührung heilen kann), sondern bestätigen das Prinzip, dass in den Signifikanzen die Wirkungsgewissheit dieser Arznei erkennbar ist, also was mit dieser Arznei gewiss geheilt werden kann. Wenn Bryonia Stechen bei Bewegung heilen kann, weil Bryonia dafür signifikant ist, dann müssen das auch alle anderen Arzneien können, wenn sie für diese Zeichenkombination signifikant sind. Mangan hat auch 7 Symptome mit Stechen beim Gehen. Wenn Bryonia Stechen beim Gehen heilt, dann muss das Mangan auch heilen können. Wenn Mangan das dann auch heilt, dann müssen es alle anderen Arzneien auch können, die Stechen beim Gehen signifikant haben, ob das in der Praxis schon ausprobiert und bestätigt wurde oder nicht. Das weiß ich vorher, vor jeder Heilung, ohne je eine Heilung vorher mit diesen Zeichen oder ZK gemacht zu haben. Das hat Hahnemann mit der voraus zu bestimmender Gewissheit, RAML 3, China, gemeint. Als Homöopathen können wir doch alle gewiss die Aussage akzeptieren, dass Arzneien das heilen können, was sie in der Prüfung hervorgebracht haben. Oder??? Das bedeutet, wenn ich sicher weiß, was sie sicher hervorgebracht haben, dann kann ich das auch sicher mit dieser Arznei heilen. Alles andere ist unlogisch.

Das muss so sein, oder die ganze Homöopathie funktioniert nicht. Wenn Bryonia Stechen beim Gehen geheilt hat, dann müssen alle Arzneien, die dafür signifikant sind, Stechen beim Gehen heilen. Das muss ich nicht ausprobieren, das weiß ich vorher schon. Anfänglich brauchte Hahnemann „Heilungsbestätigungen“. Diese Verifikation liegt in der Natur jeder Wissenschaft, aber hier wurden nicht einzelne Symptome oder Zeichenkombinationen verifiziert, sondern das Prinzip Homöopathie, als Heilung durch übereinstimmende Ähnlichkeit zwischen Patientensymptomen und signifikanten („charakteristischen“) Zeichenkombinationen. Nachdem aber dieses Prinzip in Hahnemanns Praxis bewiesen war, konnte er es allgemein auf alle Arzneiwirkungen (Signifikanzen) anwenden, ohne dass jede einzelne ZK für sich selbst bestätigt werden musste, und das ist die Heilungsgewissheit a priori. Diese setzt allerdings die Anwendung des Prinzips voraus (erkennen der Signifikanzen/Charakteristika) und davon werden Generationen von Homöopathen verfolgt. Deswegen kann es keine Heilungsgewissheit im Denken der Homöopathen geben, weil diese Gewissheit ein bestimmtes Prinzip voraussetzt. Ohne dieses Prinzip der Signifikanz gibt es auch keine Gewissheit. Homöopathie ist nun einmal eine Wissenschaft und beruht auf Naturgesetzen, die eine Einhaltung dieser Gesetze verlangen, sonst funktionieren sie nicht. Und diese Gesetze sind nicht subjektiv, sondern objektiv, weil es keine subjektiven Naturgesetze gibt.

Wenn Hahnemann in den Vorreden zu einzelnen Arzneien schreibt, dass man sie mit „voraus zu bestimmender Gewissheit“ anwenden kann, dann ist das nur logisch, weil es gar nicht anders sein kann! Ob auch immer in jedem konkreten Einzelfall wirklich Heilung erfolgt, ist eine andere Frage. Jede Krankheit kann potentiell geheilt werden, aber nicht jeder Patient. Die letzte Krankheit eines Menschen ist immer unheilbar, sonst hätten wir den Tod besiegt, aber Unsterblichkeit ist in der Natur nicht vorgesehen. Und es ist, trotz Homöopathie, noch jeder gestorben. Die Schlussfolgerung, wonach es keine Heilungsgewissheit geben kann, weil es keine Unsterblichkeit gibt, ist die einzig mögliche, aber sie ist unsinnig.

Wenn keine Heilung erfolgt, dann widerspricht das nicht der Heilungsgewissheit bzw. bestätigt die nicht existierende Unsterblichkeit. Das heißt, entweder es erfolgt keine Heilung, weil es sich um die letzte Krankheit des Patienten handelt, oder es liegen Heilungshindernisse vor, denn Heilung muss ja erfolgen, bzw. Wirkung muss eintreten. Oder die Anamnese war falsch, aber das widerspricht auch nicht dem Prinzip der Gewissheit. Wenn keine Heilung erfolgt, muss ich herausfinden, warum sie nicht erfolgte. Und das ist, psychologisch gesehen, die Schwierigkeit im Umgang mit dem Thema der Wirkungsgewissheit, weil sie falsch verstanden wird. Ich weiß schon vor jeder Anwendung von Bryonia, dass Bryonia ein Stechen schlimmer durch Bewegung heilen können muss. Das ist die a priori Gewissheit. Aber umgekehrt, wenn jetzt ein Patient mit einem Stechen, schlimmer bei Bewegung, vor mir sitzt, weiß ich natürlich nicht schon vorher, dass Bryonia ihm helfen muss. Denn es kann die Anamnese falsch sein, der Patient kann ungenaue Angaben machen, ich kann bei der Arzneiwahl eine Arznei übersehen, die in der Gesamtheit der Symptome des Patienten noch ähnlicher passen würde als Bryonia, etc. Das alles weiß ich natürlich im vorhinein nicht und es wäre Hybris, ein Heilungsversprechen abgeben zu können! Alle Missverständnisse, die in Bezug auf Heilungsgewissheit aufkommen, beruhen darauf, dass diese beiden Seiten (Arzneiseite und Patientenseite) verwechselt werden. Hahnemann spricht immer von der Arzneiseite her, vom a priori Wissen durch eine Arzneimittelprüfung, wie auch die Zitate am Anfang aus der Reinen Arzneimittellehre zeigen.

Wenn Bryonia Stechen beim Gehen heilt, weil es dafür signifikant ist, dann zeigt das nicht nur, dass diese konkrete Signifikanz heilt, sondern dass ALLE Signifikanzen heilen, oder das ganze System stimmt nicht! Es kann nicht sein, das Bryonia die eine Signifikanz heilt und eine andere nicht. Die Praxis zeigt, dass immer alle Signifikanzen zur Heilung führen. Das hatte Hahnemann vor 200 Jahren bereits alles ausgetestet und dann im Organon formuliert. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass er 20 Jahre an der Homöopathie geforscht hat, bevor er das Organon veröffentlichte.

Signifikanzen sind wirkliche Arzneiwirkungen und damit kommt der Signifikanz eine „Wirkungsgewissheit“ zu. Eine Wirkungsgewissheit ist aber eine Heilungsgewissheit, weil nach dem Ähnlichkeitsgesetz Arzneien das heilen, was sie auch hervorrufen. Tun sie es nicht, würde das Ähnlichkeitsgesetz nicht stimmen. Wenn wir uns also auf das Ähnlichkeitsgesetz verlassen, muss es eine Heilungsgewissheit geben. Diese Heilungsgewissheit bezieht sich auf Arzneiwirkungen, die ganz gewiss vorhanden sind und diese müssen ganz gewiss heilen. Wenn es in der Praxis nicht zur Heilung kommt, dann liegt. wie gesagt, ein Grund vor, der aber nicht die Heilungsgewissheit an sich aufhebt. Deshalb beginnt Hahnemann seinen Aufsatz „Beleuchtung der Quellen der gewöhnlichen Materia Medica“ (RAML, Band 3): „Nächst der Kenntnis des Heil-Objekts, der Kenntnis, was an den Krankheiten, das ist, an jedem unsre Hilfe suchenden Krankheitsfalle zu heilen sei, kann es für den ausübenden Arzt keine nötigere Kenntnis geben, als die der Heilwerkzeuge, nämlich zu wissen, was jede der Arzneien ganz gewiss heilen könne.“

Hahnemann, RAML 3, Einleitung zu China: Homöopathie lehret, „wie man bloß nach deutlichen Antworten der befragten Natur mit voraus zu bestimmender Gewissheit, Krankheiten schnell, sanft und dauerhaft in Gesundheit umwandeln könne.“ Bei China hat Hahnemann viele Signifikanzen gefunden (Charakteristika) und damit wusste er, welche Beschwerden China heilen muss und zwar bevor er China überhaupt jemals in der Praxis eingesetzt hat, denn Chinas charakteristische Symptome müssen in der Praxis genau so funktionieren, wie alle anderen charakteristischen Symptome der Materia medica. Das ist die Heilungsgewissheit a priori. Und die muss es geben, sonst ist alles sinnlos.

Die Heilungsgewissheit funktioniert aber nur unter entsprechenden Bedingungen. Die Bedingungen sind logischerweise die echten Arzneiwirkungen, denn Symptome, die nicht von der Arznei hervorgerufen werden, können nicht zur Heilung führen und für diese Symptome gibt es keine Heilungsgewissheit.

Wir müssen von den Arzneimittelprüfungen ausgehen. Hahnemann sagt, deutlich wahrnehmbar muss jede Arznei aussprechen, was sie zuverlässig heilen kann. Ich komme nochmals auf den §3 Org. mit seinem dreimaligen „deutlich“ zurück. Das Kriterium der „deutlichen Einsichten“ führt zur Frage nach sicheren Werkzeugen die mir zur Verfügung stehen. Zuerst muss dem Prüfer beim Prüfen einer Arznei einmal klar sein, was überhaupt ein Symptom ist.

Was sind eigentlich Symptome?

Ich zitiere Prüferin 1 aus einer AMP mit Lac humanum C30:

„Als ich über das Mittel nachdachte, sah ich mich in einem Feld, und ein gefleckter Frosch kam und ging, dann ein gepunkteter Marienkäfer. Und wenn es nachts ein warmes wolliges Tier war, war es ein Schaf mit einem entsprechenden Verstand. Ich sehe Kreise in Worten und Umrissen und buk heute einen kreisförmigen Kuchen.“ Dieselbe Prüferin beobachtet weiters:

„Ich hatte keine Lust auf einen halben Schokoladekeks, obwohl ich sonst dafür schwärme.“

Später beobachtet sie das Symptom:

„Um 10 Uhr Abends eine Gier auf Smarties.“ 7

Nicht jeder, während einer Prüfung auftretende Gedanke ist gleich ein Symptom 8. Das sind Missverständnisse, wie sie in modernen Arzneimittelprüfungen vorkommen. Hahnemanns Prüfer hatten diese Probleme noch nicht. In Hahnemanns Arzneiprüfungen geht es um die Frage der Signifikanz und um Einzelsymptome.

Ein einzelnes subjektives Symptom ist niemals eine sichere Arzneiwirkung, weswegen bei einer Arzneiwahl nach Einzelsymptomen auch keine Heilungsgewissheit existieren kann. Ein einzelnes, durch Heilung verifiziertes Prüfungssymptom bietet auch keine Heilungsgewissheit, weil eine Bestätigung durch Heilung in Wirklichkeit nichts bestätigt, denn Symptome werden oft indirekt mit geheilt, ohne dass es sich bei dieser Heilung um eine Arzneiwirkung handelt. Heilungssymptome haben an sich keine Heilungsgewissheit. Deswegen bieten die Wertegrade in den Repertorien auch keine Heilungsgewissheit, denn sie können richtig oder falsch sein.

Und jetzt landen wir – wie immer! – wieder bei Hahnemann. Repertorien geben nur Hinweise, Heilungssymptome sind keine charakteristischen Symptome usw. Es geht immer nur um das Studium der Arzneimittellehre zur Identifikation der charakteristischen Symptome (Signifikanzen) und dann gibt es zwingend eine Heilungsgewissheit.

Die sichere Wirkung der Arznei zeigt sich in den AMP – Symptomen und nicht in den klinischen Heilsymptomen:

Durch klinische Verifikation wird ein Symptom oder Zeichen nicht charakteristischer. Viele Homöopathen sehen in der klinischen Verifikation eine Lösung des Problems der Identifikation der charakteristischen Symptome einer Arznei. Aber das ist ein völlig nutzloses Vorgehen, das schon Hahnemann als falsch erkannte.

Hering führt sehr deutlich aus: „Nach Hahnemanns deutlicher und bestimmter Anweisung sollen wir uns zwar nicht ausschließlich, aber doch entschieden vorzugsweise bei der Wahl des Mittels nach den Symptomen richten welche dieses Mittel bei Gesunden verursacht hatte. Zunächst und nur mit großer Vorsicht können in das Verzeichnis auch Symptome aufgenommen und bei der Wahl gebraucht werden, welche bei Kranken entstanden waren. Am wenigsten Wert ist zu legen auf Symptome, welche ein Mittel geheilt hat oder auf dessen Heilwirkungen.

Im Gegensatz damit haben die mehrsten neuern Homöopathen den größten Wert auf geheilte Symptome gelegt. Man hat dieselben sogar als den Kern und die Essenz der Arzneimittellehre extrahiert und besonders abdrucken lassen. Dies ist ein großer Irrtum, der die echte, freie Anschauung der Arzneimittellehre immer mehr beengt,…… Allerdings scheint es auffallend, Symptomengruppen, welche ein Mittel entschieden geheilt hat, bei der Wahl des nämlichen Mittels gegen die nämlichen Symptome als minder wichtig anzusehen, allein es ist doch so. Die Symptome, welche ein Mittel heilte, sind oft nur Folgezeichen, welche durch das Entfernen eines bedingenden Umstandes verschwinden“ (AHZ 1851). 9

Auch GHG Jahr äußert sich ummissverständlich zu diesem Thema im §97 und §98 seiner Lehren und Grundsätze, da die meisten klinisch geheilten Symptome Folgezeichen der Krankheit darstellen, die durch die Heilung der Krankheit mit verschwinden, ohne direkt durch die Wirkung der Arznei geheilt worden zu sein: „Damit soll indessen nicht gesagt sein, dass die den Heilungsgeschichten entnommenen Zeichen, oder die sogenannten Heilsymptome gar keinen Wert für die Praxis und die Kenntnis der eigentümlichen Wirkungen eines Mittels hätten, noch haben könnten….. was wir ihnen aber durchaus und für immer absprechen müssen, das ist, dass sie charakteristische Zeichen für die Mittelwahl seien; denn, nicht nur weit entfernt, dies zu sein, sind sie sogar zuletzt auch noch sehr oft die allerunsichersten Symptome, die wir nur erhalten können..“ 10 „….da man eigentlich nie mit Sicherheit sagen kann, welches in einem solchen Falle Haupt- und welches nur notwendige Folgezeichen waren“. 11

An Kranken geheilte Symptome können nicht nur „Folgezeichen“, sondern zur Arzneiwirkung direkt völlig entgegen gesetzte Symptome sein, wie Hahnemann im §67 in der Fußnote ausführt: „Auch ist eine homöopathische Arznei deshalb noch nicht gegen einen Krankheitsfall unpassend gewählt, weil ein oder das andere Arzneisymptom einigen mittlern und kleinen Krankheitssymptomen nur antipathisch entspricht; wenn nur die übrigen, die stärkern, vorzüglich ausgezeichneten (charakteristischen) und sonderlichen Symptome der Krankheit durch dasselbe Arzneimittel, durch Symptomen-Ähnlichkeit ausgelöscht werden, so vergehen auch die wenigen entgegengesetzten Symptome nach verflossener Wirkungsdauer des Medikaments von selbst, ohne im mindesten die Heilung zu verzögern.“

Also auch der echten Arzneiwirkung entgegen gesetzte Symptome können als klinisch geheilte Symptome ins Repertorium gelangen. Ich halte diese Fußnote zu §67 für eine der wichtigsten Stellen im Organon in Bezug auf klinische Symptome und deren Arzneieintragungen in Repertoriumsrubriken.

Hering, Jahr und Hahnemann nennen also zwei Möglichkeiten, wodurch Krankheitssymptome nach einer Arzneigabe vergehen können, ohne dass sie direkt durch den Arzneieinfluss geheilt wurden. Dann kann ein Krankheitssymptom natürlich noch spontan vergehen, unabhängig vom Arzneieinfluss und dann auch durch Placeboheilung. Wir wissen also nie, wenn Krankheitssymptome vergehen, ob sie durch die direkte homöopathische Arzneiwirkung geheilt wurden oder ob sie aus diesen angeführten Gründen einfach vergangen sind. Deshalb sind klinische Nachträge immer unsicher. Darum ist die Möglichkeit sehr wahrscheinlich, dass oft Falsches in die Repertorien eingetragen wird, da sich die meisten Nachträge in den heutigen Repertorien auf klinische Erfahrungen beziehen und wir nie sicher sagen können, ob diese Symptome wirklich durch die Arznei geheilt wurden. Durch diese Verunklarung der Repertorien sinkt die Wirkungsgewissheit der Arzneiverordnung ganz beträchtlich. Das dürfte ein Hauptgrund sein, warum Heilungen in der Praxis oft nicht eintreten, weil eben viel Falsches in unseren Repertorien steht.

Kent schreibt:

Die Aufnahme klinischer Symptome in unsere Materia medica muss mit der größten Vorsicht erfolgen…Die hastige und unüberlegte Aufnahme klinischer Symptome ist sicherlich von Übel; und wenn das in größerem Ausmaß geschieht, wird unsere Materia medica unglaubwürdig…ist unsere Materia medica erst einmal verfälscht und verdreht, wird der klinische Erfolg unmöglich.“ 12

Schlussfolgerung:

Wir sind auf die Arzneimittelprüfungssymptome angewiesen, können uns nur auf diese verlassen, da klinische Symptome unzuverlässig, nicht sicher sind. Es kommt darauf an, die Charakteristik der Prüfungssymptome zu bestimmen, die in Zeichen und Zeichenkombinationen besteht. Es heilen die signifikanten Zeichenkombinationen.

Die hierarchisch wertvollsten Zeichenkombinationen können durch normale Repertorien (einschließlich Bönninghausens Therapeutisches Taschenbuch) nicht, oder nur sehr schwer erfasst werden (zum Beispiel Stechen beim Gehen, Jucken links). Wir müssen uns das einmal bewusst machen: Das wertvollste und zahlenmäßig umfangreichste Datenmaterial der Materia medica kann durch ein Repertorium gar nicht aufgezeigt werden!

Hahnemann spricht ja davon, dass ein Repertorium nur leichte Winke geben kann. Das ist nicht, weil es damals noch nicht den Kent oder das Complete Repertory oder Synthesis gegeben hat, nein, das liegt an der Grundstruktur des Repertoriums und auch ein Superrepertorium kann das nicht erreichen. Dafür erweist sich das Symptomenlexikon von Uwe Plate als geniales Werkzeug, weil eben gerade Zeichenkombinationen in sekundenschnelle mittels Mausklick dargestellt werden können. Einzig das Symptomenlexikon ist heute in der Lage, solche Zeichenkombinationen und deren Signifikanzen darzustellen.

Jetzt können Sie sich fragen, ob ich eigentlich auf das Taschenbuch von Bönninghausen als Repertorium hinaus will, denn dort kann ja Beschwerde mit Beschwerde oder Beschwerde mit Modalität organunabhängig kombiniert werden. Eine Patientin von mir, mit Lumboischialgie, hatte zum Beispiel ein abwärts Ziehen im Bein, das durch Gehen besser wurde. Wenn ich im Taschenbuch Gehen bessert und Ziehen abwärts kombiniere, ist Capsicum jeweils im 4. Grad eingetragen, Lycopodium bei Gehen bessert im 3. Grad und bei Ziehen im 4. Grad. Rhododendron bei Gehen bessert im 3. Grad und bei Ziehen im 1. Grad.

Capsicum hat zwar allgemein charakteristisch Gehen bessert und allgemein charakteristisch Ziehen abwärts verschlimmert, aber Capsicum hat in der Materia medica überhaupt kein einziges Symptom von Ziehen in Verbindung mit Gehen hervorgebracht! Lycopodium hat in der Materia medica zwar 3 Symptome mit Gehen und Ziehen, aber davon werden zwei durch Gehen verschlimmert, also gerade umgekehrt wie bei meiner Patientin! Rhododendron hat auch drei Symptome in der Materia medica, hier werden auch alle drei Symptome schlimmer durch Gehen. Sie sehen, auch das Therapeutische Taschenbuch hilft nicht bis zum Schluss.

Das Taschenbuch zeigt nur die allgemeine, aber nicht die spezielle Charakteristik des Arzneimittels, die ich jetzt für den konkreten Patienten gerade brauche. Im Symptomenlexikon können gerade diese Zeichenkombinationen mit einem Mausklick angezeigt werden.

Wenn es bei der Arzneicharakteristik auf die Zeichen und Zeichenkombinationen ankommt, dann müssen gerade diese auch beim Patienten durch die Anamnese erfasst werden:

Deutlich erkennbar muss das unseren Sinnen offen da liegen, was an jeder Krankheit hinwegzunehmen sei“, schreibt Hahnemann. Ich muss durch die Anamnese das an der Krankheit erkennen können, was bereits durch die Arzneiprüfung vorliegt, das ist die Aufgabe der Anamnese. Das ist der „rechte Gesichtspunkt“, wie wir die Krankheit erkennen müssen, wie Hahnemann im Brief an Hufeland schreibt. Der „rechte Gesichtspunkt“ ist, in der Anamnese „Zeichen und Zeichenkombinationen“ zu erfassen!

Alle diese Kriterien in die Praxis umgesetzt finden wir in der Krankengeschichte der Lohnwäscherin, von Hahnemann in der Vorerinnerung RAML Band 2, geschildert.

Einschub: Folie 1 Lohnwäscherin

Bei der Lohnwäscherin besteht eine Heilungsgewissheit mit Bryonia, weil Bryonia alle charakteristischen Zeichenkombinationen signifikant abdeckt und dazu auch noch alle Zeichenkombinationen, bei denen es in der Arzneimittellehre keine Signifikanzen gibt (Bewegung/ Magenbeschwerden, Gehen/Magenbeschwerden). Die Datenlage ist also ausreichend, Bryonia hat außerdem keine Widersprüche (signifikant Stechen besser durch Bewegung/ Gehen, was übrigens nicht den Polaritäten von K.H. Gypser oder H. Frei entspricht). Bryonia hat alle Symptome charakteristisch, ist damit das Simile, und das ist die Heilungsgewissheit, denn Bryonia muss hier heilen, wenn alle Bedingungen erfüllt sind, und wenn es nicht heilt, gibt es Heilungshindernisse oder die Patientin hat ihre Symptome falsch geschildert, etc…. Deshalb muss Bryonia heilen oder die Homöopathie, wie Hahnemann sie konzipiert hat, funktioniert nicht, oder es gibt Heilungshindernisse, oder die Anamnese stimmt nicht.

Bei der Lohnwäscherin war das Datenmaterial eindeutig und deswegen war sich Hahnemann der Heilung so sicher. Hahnemann gab der Frau einen Tropfen Bryonia „..und beschied sie nach 48 Stunden wieder zu mir. Meinem Freunde E., der zugegen war, deutete ich an, dass die Frau binnen dieser Zeit durchaus gesund werden müsse…“

Aber diese Wirkungsgewissheit gibt es nicht immer. Das zeigt der Fall des blassen Sekretärs (Vorerinnerung RAML, Band 2). Hier ist die Datenmenge gering, und deswegen gab es hier keine Wirkungsgewissheit. Dass der Fall trotzdem geheilt wurde, zeigt nur, wie selbst bei unsicherer Datenlage noch viel erreicht werden kann, da ist aber keine Gewissheit gegeben.

Einschub: Folie 2 Sekretär

Wenn es nun bei manchen (oder vielen) Fällen keine ausreichende Datenmenge gibt, bedeutet das nicht, dass es in der Homöopathie prinzipiell keine Heilungsgewissheit gibt! Hahnemann hat niemals gesagt, dass seine Arzneimittellehre vollständig sei.

Schluss und Zusammenfassung:

Die Praxis bedeutet die Vermeidung aller Heilungs – UN – gewissheiten, wie sie hier aufgezählt wurden. Die Heilungs-un-gewissheit resultiert doch nur aus der ungewissen Arzneiwahl ohne Leitfaden, ohne Regeln, oder nach Gefühl und Intuition („subjektiv“) oder vor allem nach klinischen Symptomen.

Wenn aber in der heutigen Homöopathie nach Heilungssymptomen gewählt wird (die man im Repertorium ja nicht von den Prüfungssymptomen auseinander halten kann), oder nach Einzelsymptomen oder nach unerklärlichen Symptomen oder nach Miasmen oder zentralen Empfindungen oder Wahnideen oder was es sonst noch alles gibt, dann gibt es logischerweise nur Ungewissheit!

Homöopathen haben heute keine Heilungsgewissheit, weil es diese in der klassischen Homöopathie nicht geben kann, weil ihr Hauptwerkzeug, das klassische Repertorium, aus den angeführten Gründen keine Wirkungsgewissheit bieten kann. In der Homöopathie nach Hahnemann gibt es Heilungsgewissheit. Klassische Homöopathie und Hahnemanns Homöopathie sind zwei verschiedene Therapien. Die eine hat Heilungsgewissheit, die andere nicht.

Es gibt die Heilungsgewissheit, wenn die Bedingungen erfüllt sind, nämlich eine ausreichende Datenlage (signifikante Zeichen) und keine Heilungshindernisse und eine richtige Anamnese und eine richtige Arzneiwahl nach den von Hahnemann gefundenen Regeln.

Wir haben bei ausreichendem Datenmaterial in den Prüfungen eine Wirkungsgewissheit, ob diese dann auch zur Heilung führt, ist eine andere Frage. Aber das ist immer so, in jeder Medizin.

Dr. Anton Rohrer

Dorfplatz 2

A-8734 Großlobming

E-Mail: rohrer@hahnemann.at

 

Fußnoten:

  1. Überarbeitet nach einem Vortrag, gehalten in Köthen am 27.10.12 im Rahmen des WissHom – Jahreskongresses, ICE 12, 12. Internationaler Coethener Erfahrungsaustausch
  2. Frätzki, E., Die Idee der Wissenschaft bei Samuel Hahnemann, Haug Verlag, Heidelberg 1976.

    Klunker W. in ungefähr 10 Publikationen in der Zeitschrift für Klassische Homöopathie, Haug Verlag, Heidelberg und „Das Selbstverständnis der naturwissenschaftlichen Arzneimedizin und die Homöopathie“ Verlag Grundlagen und Praxis Leer, o.J., und Grundsätzliches zum Nachweis der homöopathischen Arzneiwirkung, Proceedings des LIGA Kongresses in Hamburg 1979

  3. Zitiert nach Hahnemann S. Gesammelte kleine Schriften, Haug Verlag, Heidelberg 2001

  4. Dieser Aspekt wurde von W. Klunker besonders in seiner Arbeit „Heilkunde unter dem Anspruch von Gewissheit“ Zeitschrift für Klassische Homöopathie 5/96 hervorgehoben.

  5. Dr. Susanne Diez: Subjektivität als ein Grundprinzip der Homöopathie: Alles, was wir vom Patienten in der homöopathischen Anamnese erfahren, sowie alle Ergebnisse homöopathischer Arzneimittelprüfungen sind Wahrnehmungen (innere Gefühle und Empfindungen und äußere Eindrücke) und daher vor allem subjektiver Natur. Deshalb ist die Subjektivität neben der Ähnlichkeitsrelation als Grundprinzip der Homöopathie zu postulieren. Aus dem Abstract des Vortrages am 25.10.12 in Köthen, WissHom – Jahreskongress, ICE 12, 12. Internationaler Coethener Erfahrungsaustausch

  6. Christoph Laurentius schreibt in seinem Abstract: „der Begriff Heilungsgewissheit verfolgt seit Generationen homöopathische Ärzte und Therapeuten“: „HeilungsUNgewissheit in der homöopathischen Praxis: Der Begriff Heilungsgewissheit verfolgt seit Generationen homöopathische Ärzte und Therapeuten. Schon Hahnemann erwähnt diesen Begriff im Organon der Heilkunst. Nachfolgende Homöopathen haben sich immer wieder auf die Suche nach diesem heiligen Gral der Homöopathie gemacht. Aber schon allein mit dem Begriff „Heilung“ verlassen wir den sicheren Boden der Gewissheit und wagen uns vor in Gebiete, deren Koordinaten lediglich relativ zu nennen sind. Aus dem Abstract des Vortrages, der für den 27.10.12 in Köthen, (WissHom – Jahreskongress, ICE 12, 12. Internationaler Coethener Erfahrungsaustausch) vorgesehen gewesen wäre

  7. Houghton Jaqueline & Halahan Elisabeth, Die Homöopathische Prüfung von Lac Humanum, Verlag Karl Josef Müller, Zweibrücken, 1995

  8. Siehe dazu den Aufsatz von Will Klunker, Das Symptom – ein Grundbegriff der Homöopathie, Zeitschrift für Klassische Homöopathie 1/94

  9. Herings Medizinische Schriften in drei Bänden. Herausgegeben von K.H.Gypser. Ulrich Burgdorf Verlag, Göttingen 1988. Band 3, Seite 1016

  10. Jahr G.H.G. Die Lehren und Grundsätze der gesamten theoretischen und praktischen homöopathischen Heilkunst. Samuel Gottlieb Liesching Verlag, Stuttgart 1857. §97, Seite 252

  11. Jahr G.H.G. Die Lehren und Grundsätze, § 98, Seite 256

  12. Kent´s Minor Writings on Homoeopathy, Seite 205, President´s Address. Herausgeber K.H.Gypser, Haug Verlag, Heidelberg 1987